H. Holzschuher,Statement eines Toten.11.1.4.1

 

Albrecht Dürer (1471-1528),

Das  Bildnis „Hieronymus Holzschuher“ (1526), 


„Statement eines Toten“

„Mein Name ist Hieronymus Holzschuher und ich bin Bürger der freien Reichsstadt Nürnberg. Ich wurde 1469 geboren und habe im Jahre des Herrn 1529 die Erde, auf der ich 60 Jahre ein gottgefälliger Gast war, verlassen. Ich stamme aus einer alt ansässigen und sehr angesehenen Patrizierfamilie. Im Jahre 1500 wurde ich zum jüngeren, 1509 zum älteren Bürgermeister der Stadt Nürnberg gewählt. 1514 zählte ich als Septemvir zu den sieben Ältesten unserer städtischen Regierung. Bei meinem Tode gab die Stadt eine Münze heraus, um meiner zu gedenken und mich für meine aufopfernde Arbeit im Dienst der Bürgerschaft zu ehren. 

Das Portrait, das mein Mitbürger und Freund Albrecht Dürer von mir angefertigt hat, zeigt mich im Alter von 57 Jahren, also drei Jahre vor meinen Tod. Albrecht hat mich, vielleicht die schönen Portraitbilder zum Vorbild nehmend, die wir aus den südlichen Niederlanden kennen, - ich denke hier u.a. an die Portraitwerke des Meister von Flémalle oder Rogier van der Weydens - so gemalt, dass mein Kopf die gesamte Bildfläche füllt. Selbst der Lehrer Albrechts, Meister Martin Wohlgemut, wäre nicht fähig und willens gewesen, mich so gekonnt ins Bild zu setzen. Meine Brust und die Schultern, mit schwerem Pelz bedeckt, wirken wie ein Sockel, der meinen Kopf trägt. Keck, bewusst und ein wenig skeptisch schaue ich dem Betrachter in die Augen. Nichts, kein Attribut, kein Interieur lenkt den Blick des Betrachters ab. Der blaue Hintergrund schließt - wie ein Vorhang oder der goldene Hintergrund der alten Malerei - das Bild ab. Albrecht hat mit einer unglaublichen Genauigkeit das Bild gemalt. Mit welch einer Akribie hat er die einzelnen Haare auf meiner Stirn und die meines Bartes wiedergegeben. Ja selbst die Fensterkreuze des Arbeitsraums hat er in meinen Augäpfeln sich spiegeln lassen. Das Gesicht, der Mund, die Nase und im Besonderen die Augen sind beredte Zeichen meines Lebenswillens. Solch ein handwerklich exzellent gearbeitetes Werk muss seines Gleichen in Deutschland suchen. Ob auch der Meister Lucas Cranach d.Ä. in Wittenberg oder der jüngere Holbein in London ein solches zu schaffen vermag? Hier bin ich mir nicht sicher. Um dieses herrliche Werk der Familie zu bewahren, habe ich einen Rahmen mit einem Schiebedeckel, der den Namen und  das Wappen  unserer Familie trägt und das Bild schützen soll, anfertigen lassen.

Die Mitte der Zwanziger Jahre, ja das Jahr 1526 selbst, in dem das Bild entstand, sind mit furchtbaren Erinnerungen verbunden. War doch 1525 die gesamte Bauernschaft im Südwesten Deutschlands aufgestanden und hatte in ihren 12 Artikeln radikale Erleichterungen ihrer Abgaben gefordert. Sie wurden bei Mühlhausen besiegt.

Unsere Stadt hatte zwischen 1495 und 1525 eine sehr glückliche Zeit erlebt, einen großen wirt-schaftlichen Wohlstand, eine politische Machtstellung im Reich und eine von den Bürgern geförderten Kultur voller künstlerischer und geistiger Aufgeschlossenheit. All das war nun durch die allgemeine soziale Unruhe im Reich in Frage gestellt. Hatten nicht Albrecht, Veit Stoß, Adam Kraft, Peter Vischer, Hans Sachs für einen künstlerischen und kulturellen Glanz gesorgt, der in Deutschland einmalig war? Und war meine Liebe zu den protestantischen Ideen - die ich, wie Sie vielleicht nicht wissen, mit Albrecht teilte - nicht eingebunden gewesen in die allgemeine Begeisterung für das geistig Neue? Ich erinnere mich gern an die gelehrten Ausführungen unseres Mitbürgers Pirckheimer, den Dürer auch portraitierte, zur griechischen und römischen Kultur und Gelehrsamkeit, aber auch zu den neuen reformatorischen Gedanken Luthers und Melanchthons. Ein Jahr später, 1526, in der Zeit, als Albrecht an meinem Portrait arbeitete, stach er auch, als ein Zeichen seiner Verbundenheit mit den neuen Ideen, Erasmus von Rotterdam und auch Melanchthon in Kupfer.

Seit der Enthauptung Thomas Müntzers, des Führers der Wiedertäufer und der Bauern, durch die Fürsten wird jedoch die private Auseinandersetzung mit den Ideen Luthers zu einem politischen Glaubensbekenntnis, das die Gefahr in sich birgt, selbst vor die weltlichen und kirchlichen Richter gerufen zu werden. Gott sei Dank, dass das Leben in Nürnberg nicht mit irgendeinem anderen Platz in Deutschland zu vergleichen ist. Schon 1525 hat sich die Stadt offen zu Luther und seinen Lehren bekannt und somit den Schutz des neuen Glaubens übernommen. Doch war es in den folgenden Jahren für den Rat der Stadt sehr schwierig, in der Reichspolitik die evangelische Glaubens-überzeugung mit der Treue zum katholischen Kaiser zu vereinbaren. Karl V. brach 1525 durch seinen Sieg bei Pavia und die Gefangennahme Franz I. von Frankreich die französische Vorherrschaft in Oberitalien und gewann in Italien seinen alten Einfluss zurück und stärkte somit seine Stellung gegenüber den Reichsfürsten. Das Jahr 1526 brachte dann das offizielle Ende des  Krieges, doch ein aufreibender Kleinkrieg mit dem ungarischen Adel, der von den Türken unterstützt wurde, blieb ihm und seinem jüngeren Bruder Ferdinand I. von Habsburg, der gerade König von Böhmen und West-Ungarn geworden war, nicht erspart. In diesem Jahr rief der Kaiser einen Reichstag nach Speyer ein. Das wichtigste Ergebnis dieses Treffens war der Sieg einiger Fürsten und Städte, die nun als Herren ihrer Territorien über die Glaubensfragen autonom entscheiden konnten.

All dies wirkte natürlich auf das soziale, kulturelle und auch auf das geistige Leben in Nürnberg zurück. In den letzten drei Jahren meines Lebens konnte ich spüren, dass ein neues Zeitalter angebrochen war. Was wird uns die geistige Unruhe, die in unseren Köpfen und auch unser gesamtes Leben beherrscht noch bringen? Eine Antwort auf diese Frage werden erst die folgenden Generationen zu geben vermögen.



(Aus dem Projekt: Post-moderne Wege zur Kunst)